"Mein Vater ist noch mit der 13 gefahren, als der Garten ihm noch
gehört hat", erzählt mir der Mann, den ich, als ich ihn am Dachsberg
bei der Arbeit im Schrebergarten sah, spontan angesprochen habe.
Es ist Anfang April, der erste richtig schöne Sonnentag des Jahres.
Kurz nach 18 Uhr abends, langsam wird es ein wenig kühler. Die Felder
östlich vom Dachsberg, Frankfurt-Berkersheim, liegen im Licht der
schwächer werdenden Sonne - ein herrlicher Anblick.
Kaum zu glauben, daß vor langer Zeit genau hier eine
Straßenbahn gefahren sein soll. Aber doch - es war so.
Bevor die U5 - damals B1 - das Licht der Welt erblickte, verlief
die Schienenstrecke im Nordosten Frankfurts nach der längst verschwundenen
Wendeschleife an der Ecke Marbachweg - Gießener Straße
durch Preungesheim hindurch bis zur Weilbrunnstraße, wo sie
rechts abbog und schließlich nach einer langgezogenen Linkskurve
bis an den Ortsrand von Berkersheim verlief, entlang
des Dachsbergs sogar eingleisig. Heute folgt die U5 der Gießener Straße bis zur Autobahn
661, an die damals noch niemand dachte.
Am 01.11.1911 wurde das Straßenbahnnetz von der Ecke
Eckenheimer Landstraße/Marbachweg bis zur Weilbrunnstraße
in Preungesheim erweitert, bevor am 16.06.1919 der Oberwiesenweg und
schließlich am 15.01.1925 Berkersheim erreicht wurde. Die Linien 7 und
33 fuhren lange die Endhaltestelle an, bevor die Linie 13 Berkersheim
bediente und das bis zur Stillegung der Strecke - "das muß so 78 gewesen sein",
sagt mir der Mann - unermüdlich tat.
Heute erschließen sich
dem genauen Beobachter noch Hinweise auf die Existenz der Strecke, so
zum Beispiel in der Homburger Landstraße. Der Fahrdrahtmast,
der am linken Bildrand zu erkennen ist, wurde wohl der Uhr wegen
dort belassen, wo die Kreuzstraße von der Homburger Landstraße
abzweigt. Auf der Homburger Landstraße selbst findet sich ein
Asphaltstreifen, der sich bis zur Weilbrunnstraße hinzieht - überteerte
oder entfernte Schienen.
Die Weilbrunnstraße selbst hat seit dem Verschwinden der
Straßenbahn einige Veränderungen erlebt, hier deutet nichts mehr auf
einen Streckenverlauf hin. Neue Häuser säumen die Straße,
auf der bis vor mehr als 30 Jahren noch eine Tram fuhr. Im weiteren Verlauf
ist es schwer auszumachen, wo genau die 13 fuhr. Durch das gesamte
Areal südwestlich der A661, die dort eine Linkskurve beschreibt,
ziehen sich frisch aufgeschüttete Wege; hier entsteht die Karl-Kirchner-Siedlung.
Erst die am östlichen Rand des Gebietes, dort, wo die Autobahn
von einer Straße unterquert wird, bietet sich dem Spaziergänger
ein Hinweis auf die Trasse, die Ende der 80er Jahre endgültig "renaturiert" wurde.
Ein asphaltierter Fußweg in Richtung Norden verläuft dort,
wo sich die Trasse befunden haben könnte.
"Wissen Sie, wo genau die Trasse verlief?" frage ich den Mann,
als ich ihn in seinem Schrebergarten angesprochen habe. "Sie stehen
genau drauf", sagt er zu mir. Da lag ich also richtig!
"Das heißt", korrigiert er sich, "wenn ich
mich richtig erinnere, verlief sie zwischen den Zäunen der
Grundstücke da drüben" - er zeigt an den östlichen
Bebauungsrand von Berkersheim - "und den Sträuchern. Die gab's
damals auch schon." Und tatsächlich - dort, wo die Anwohner
den freigewordenen Platz nicht zu ihren Grundstücken hinzugenommen
haben, befindet sich ein schmaler Streifen grasbewachsenen Bodens.
Sollte die 13 dort ihren Weg genommen haben?
In einem Punkt jedoch ist sich der Mann sicher: Die Wendeschleife befand
sich exakt dort, wo heute die Buslinie 39 wendet.
Schwer nachzuvollziehen - der Bus wendet ein ganzes Stück unterhalb
des heutigen Wanderweges. Zudem muß den Mann die Erinnerungs getrübt haben:
Die 13 wendete auf einem Gleisdreieck. Sollte der Baum etwa dort stehen, wo
das Gleisdreieck war? Wie ein stilles Denkmal steht er mitten
auf der Wiese, ganz wie um an vergangene Zeiten zu erinnern.
"Wissen Sie, als wir hier hoch gezogen sind, fuhr ja noch die
Straßenbahn. Da konnten Sie bis zum Hauptbahnhof durchfahren, ohne
auch nur einmal umsteigen zu müssen. Heut warten Sie lang auf den
Bus und sitzen dann noch ewig in der U5, bis die losfährt. Früher
war alles besser", erzählt die alte Dame an der Bushaltestelle,
während ich auf den Bus warte, der mich von meiner Reise
in die Vergangenheit zum nächsten Ptb-Wagen nach Preungesheim bringt.
Wie recht sie doch hat...
Christian Fieres, 08.03.2009